
Ein neuer Tag auf See. Wir ziehen an den Shetlandinseln vorbei. Es ist ein sonnig frischer Morgen. Die Morgenrunde an Deck macht meine müden Knochen munter.
Kapitän Schmidt hat wieder manch schöne Geschichte auf Lager. Ein Jahr auf See ist eine verdammt lange Zeit. Besonders, wenn die Stimmung schlecht ist, erzählt er. Manchmal liegt eine schlechte Stimmung aber auch am Schiff, glaubt er. Denn für Seemänner haben Schiffe eine Seele. Nicht die See ist die Geliebte des Seemannes, erfahre ich von Käpt’n Schmidt, sondern das Schiff.

Für seine Familie hat Käpt’n Schmidt die Seefahrt aufs Land verlegt und hat eine Seemannsschule in der Südsee geleitet. Eines der eindrücklichsten Erlebnisse für ihn war die Begegnung mit der englischen Queen. Wobei ihm besonders der Humor von Prinz Philip gefiel.
Im Jahr 2004 kommt es auf dem Schiff, auf dem er Kapitän ist, der Cap Anamur, zu einem Zwischenfall. Im Mittelmeer zwischen Lampedusa, Malta und Nordafrika kommt ihm ein voll besetztes Schlauchboot mit 37 Menschen an Bord entgegen. Da das Boot sich höchstens noch eine Stunde hätte über Wasser halten können, hat er die Schiffbrüchigen aufgenommen. Denn als Kapitän ist er verpflichtet, in Seenot geratenen Menschen zu helfen und an einem sicheren Platz abzusetzen.
Schmidt möchte sie in Lampedusa absetzen, was nicht möglich ist. Der Hafen ist für das Schiff zu klein. Über die Ärzte ohne Grenzen in Rom suchen sie einen anderen Anlaufhafen. Keiner will sie aufnehmen. Italien schickt ihnen gar eine halbe Kriegsflotte entgegen, weil das Schiff mit den Flüchtlingen inzwischen zu einem Politikum geworden ist. Mehr als elf Tage schippert Käpt’n Schmidt mit der Cap Anamur durch das Mittelmeer, ohne irgendwo einlaufen zu dürfen. Die Situation wird immer kritischer. Einige Flüchtlinge versuchen aus lauter Verzweiflung, sich umzubringen. Schmidt beschließt, in den nächsten Hafen Porto Empedocle einzulaufen. In einer Seenotsituation ist das Pflicht. Und zu der erklärt er die Lage an Bord.
In Porto Empedocle wird er denn auch stante pedes verhaftet. Die Geschichte geht durch die gesamte Presse. Schmidt wird wegen Menschenhandels angeklagt. Sogar der damalige deutsche Innenminister will, dass Kapitäne, die Schiffbrüchigen helfen, ins Gefängnis kommen. Hätte Schmidt den Schiffbrüchigen nicht geholfen, wäre er wegen Unterlassener Hilfeleistung angeklagt worden, bei deren Tod sogar wegen Beihilfe zum Mord. Es ist unfassbar. Jemand, der zutiefst menschlich gehandelt hat, genau dafür bestrafen zu wollen. Letztlich jedoch – nach fünf Jahren Verhandlung – wird Kapitän Schmidt in allen Punkten frei gesprochen. Sein Fazit: Staaten halten sich so lange an Gesetze, wie es ihnen nützt. Heute ist er engagierter Flüchtlingsbeauftragter von Schleswig-Holstein.
Ein spannendes und bewegendes Gespräch, das nachhallt.

Das obligatorische Gruppenfoto steht an. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Es gibt ja Leute, die sich ständig auf Fotos verewigt sehen müssen. Vielleicht können sie das Leben sonst nicht spüren. Ich zähle mich nicht dazu. Aber wat mutt, dat mutt. Gerade bei so einer unvergesslichen Reise. Und wann wird man schon mal von einem Pulitzer-Preisträger fotografiert.
Das nenne ich Timing. Kurz nach dem Shooting zieht es zu und wir schippern hinein in unruhiges Fahrwasser. Die Wellen und der Wind nehmen wieder zu. Die Wolkenberge am Horizont bieten ein eindrucksvolles Schauspiel. Die Natur gibt noch einmal alles. Gut festhalten, ist angesagt. Denn die Böen, die über das Vorderdeck wehen, sind teils so heftig, dass ich mich mit dem ganzen Körper dagegen stemmen muss.

Während ich die Weite dann doch lieber durchs Fenster genieße, widmen sich die Telepathen unter uns wieder ihrem Lieblingsspiel „The Mind“, bei dem es darum geht, per Gedankenaustausch den Kartenwert der Mitspieler zu ermitteln. Wenn es gelingt, drückt sich die Freude darüber dann aber doch recht emotional und gestenreich aus. Mich amüsiert es köstlich.


Wir kommen in den Genuss einer ganz besonderen Ehre. Wir dürfen auf die Brücke. Einmal Käpt’n sein. Ich kann es nicht lassen, frage den Brückenoffizier ganz höflich, ob ich darf und lasse mich genüsslich auf dem erhöhten Stuhl nieder. Und es fühlt sich großartig an. Der Nordatlantik sieht aus dieser Position gleich ganz anders aus.

Ich löchere den Offizier mit meiner Neugier. Wer weiß, wann ich wieder einmal eine Schiffsbrücke betreten und einem Offizier auf die Pelle rücken darf.


Und es stellt sich einmal mehr heraus: Es kommt nicht auf die Größe an. Denn das Ruder, dass die 6350 Tonnen Gesamtgewicht steuert, ist ein winzig kleiner Joystick – keine fünf Zentimeter lang. Dagegen ist das „Gaspedal“ ein richtiger Kaventsmann. Komisch… Meist fahre die Fähre ohnehin mit Autopilot. Tagsüber muss deshalb nur ein Offizier auf der Brücke sein. Nachts oder bei Nebel sind es zwei. Nur beim Ein- und Auslaufen sei es unabdingbar, dass der Kapitän auf der Brücke ist und im Ernstfall auch selbst eingreife.

Die Singnotrettungsübung artet in eine schwungvolle Singorgie aus mit Hans Alberismen auf der Reeperbahn und der grölenden Einlage unserer Bimmelimmelim-Beauftragten Stefan. Als Klingelton würde das die Schallmauer in den Charthimmel wie eine Rakete durchbrechen. Diese singenden Iren, Føroyar oder Isländer sind keine Konkurrenz für uns. Die stecken wir locker in die Tasche. Und je später der Abend, umso melodischer wird er und schlackert in den Ohren bis nach Mitternacht. So klingt Abschied auf Ankerherzisch.
Godnat, drømme hyggeligt. Vi ses i morgen.
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[Der Text enthält Werbung aufgrund von Namensnennung! Alle Anregungen und Vorschläge, Empfehlungen und Bewertungen sind jedoch meine eigene Meinung und mein ganz persönlicher Geschmack, der gerne geteilt, aber auch anders empfunden werden kann.]
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