Seyðisfjörður, 30.01.2019


Beautiful place © Sandra Grüning

Was haben eine isländische Tankstelle und ein Hot Dog gemeinsam? Sie haben sich gegen mich verschworen. Warum? Vielleicht weil Ostseewasser durch meine Adern fließt und sie neidisch darauf sind.

Doch der Reihe nach: Ankerherz-Stefan liegt mir seit Tagen, genauer gesagt, seit dem ersten Tag in den Ohren, dass man Seyðisfjörður nur richtig kennen lernt, wenn man zum Frühstück einen der leckersten Hot Dogs ever von der hiesigen Tankstelle gleich gegenüber des Fähranlegers verköstigt habe. Gehört, verinnerlicht und fest im Kalender vermerkt: Absolutes must Hot Dog-Frühstück!

Ich werfe mir nach kurzer Nacht die Jacke über. Mütze und Handschuhe? Nee, doch nicht für diesen Katzensprung rüber zur Tankstelle. Hätte ich mal… Die 9 Grad unter Null fühlen sich nämlich an wie 19 Grad unter Null. Nach ein paar Metern spüre ich meine Ohren und meine Finger nicht mehr. Macht nichts. Ich bin ja gleich drüben. Denkste. Die Tanke ist dunkel. Ich stehe vor verschlossener Tür. Ist jetzt nicht wahr, denke ich. Das Öffnungsschild grinst mich veräppelnd an. Die angegebenen 9 Uhr sind längst durch. Ich drücke mir fast die Nase an der Scheibe platt. Aber die Tanke bleibt dunkel. Ich drehe mich um und stapfe tiefgefroren und hungrig wieder zurück zum Schiff.

Was ich nicht mitbekomme, auf halbem Weg zurück, gehen hinter mir die Lichter an und die Tankstelle öffnet. Unsere Skua-Gruppe, die meinen Frühstücksausgang aufmerksam aus der Wärme des Restaurants an Deck 5 verfolgt, lacht sich scheckig. Das ist besser als Fernsehen, empfangen sie mich. Wenigstens sie hatten ihren Spaß.

Heute steht ein Wasserfall auf dem Plan. Da der Wanderweg tief verschneit sein soll, wollen wir ein Stück die Passstraße hinauf und erst dann zum ältestem Wasserkraftwerk Fjardasel abbiegen. Gespeist wird dieses nämlich von einem Wasserfall, der bei diesen Temperaturen sicher gut gefrostet ist.

Farbenprächtig © Sandra Grüning
Farbenprächtig – 0815 kann ja jeder © Sandra Grüning

Wir sind zu acht und gut gelaunt. Unser Weg führt zunächst durch den Ort, vorbei an all den lieb gewonnenen Skurrilitäten, die die Isländer so sympathisch machen: Die farbenfrohen Holzhäuser, Yeti-Warn-und-Glaubensschilder, umhäkelte Fahrräder, die in Vorgärten-Bäumen hängen. Ich liebe dieses unaussprechliche Seyðisfjörður. Es ist einfach unglaublich schön hier! Und das alles bepuderzuckert mit diesem unglaublichen Schnee. So viel Schnee habe ich die vergangenen zehn Jahre nicht gesehen. Ein Traum in Weiß.

I believe © Sandra Grüning
I believe © Sandra Grüning
Warum nicht?! © Sandra Grüning
Warum nicht?! © Sandra Grüning

Doch kaum kommen wir an den Ortsausgang, fängt es an zu schneien. Und zwar nicht nur ein paar Flöckchen. Nach hundert Metern sind wir mittendrin in einem Blizzard. Der Schnee kommt uns horizontal entgegen. Das tut im Gesicht und in den Augen verdammt weh. Ich bin heilfroh über meine Skihose. Und ich habe doch tatsächlich überlegt, sie zuhause zu lassen. Eine Mütze, zwei Kapuzen und ein dicker Schal – bis auf einen winzigen Sehschlitz vermummt, kämpfe ich mich gegen den Schneesturm vorwärts. Das Fotografieren wird etwas für echte Masochisten. Ich muss wohl einer sein. Aber aufgeben gibt’s nicht. Nur die Harten kommen in den Garten oder wahlweise nach Seyðisfjörður. Sagen wir uns nach kurzer Beratung. Wir verbuchen das hier einfach als „Exteme Wandering“.

Heil zurückkommen ist Pflicht © Sandra Grüning
Heil zurückkommen ist Pflicht © Sandra Grüning
Schneegestöber - called Blizzard © Sandra Grüning
Schneegestöber – called Blizzard © Sandra Grüning

Die knapp anderthalb Kilometer auf der Passstraße kommen mir vor wie ein Halbmarathon. Aber wir sind guter Dinge. Erst recht als wir endlich den Abzweig nach Fjardasel erreichen. Es geht von der Straße ab, hinein in unberührte Schneelandschaften. Wir sinken bei jedem Schritt knietief ein. Nebeneinander gehen, ist passé. Wir watscheln wie die Enten hintereinander her. Ein jeder in die Stapfen des Vordermannes.

Die Island-Expedition © Sandra Grüning
Die Island-Expedition © Sandra Grüning

Der Blick auf den zugefrorenen Wasserfall macht alle Mühe wert. Glücklich und zufrieden bestaunen wir das Eiswerk. Es hat aufgehört zu schneien. Und hinter der Steilwand zeigt sich blauer Himmel. Unglaublich! Fast sieht es aus, als wolle die Sonne einmal über den verschneiten Kamm linsen. Bis sie es wirklich tut, werden noch zwei Wochen vergehen. Fast ein halbes Jahr hat das Tal von Seyðisfjörður dann keine Sonne gesehen.

Ein Traum?! © Sandra Grüning
Ein Traum?! © Sandra Grüning

Auf dem Rückweg ist die Luft so klar, dass wir unten im Fjord sogar die Norröna sehen können. Sie überragt alles.

Paradies © Sandra Grüning
Paradies © Sandra Grüning

Bei einer isländischen Linsensuppe im Skaftfell – mittlerweile unser liebster Anlaufpunkt – und einem feinen Chai Latte kehrt die Wärme und das Gefühl in meine kältetauben Finger zurück. Neben uns essen die Studenten der Kunsthochschule zu Mittag. Island scheint wirklich ein Land, das besondere Charaktere anzieht, sich auszuleben. Ganz besonders Künstler. Denn Seyðisfjörður ist die zweitgrößte Künstler-Community von Island.

Isländische Delikatessen © Sandra Grüning
Isländische Delikatessen © Sandra Grüning

Ich muss unbedingt noch einmal in den Supermarkt, mich mit gesalzenem Karamell und Lakkrís eindecken. Der Kassierer – wie auch jeder, dem ich bislang begegnet bin – ist super entspannt, herzlich und redefreudig. Das bin ich von unseren wortsparenden Pommern nicht gewohnt. Jutta und ich erfahren von ihm, dass er Fleisch mit Lakkrís-Soße liebt und auch gerne Hákarl isst. Also ist die hocharomatisch und drei Meilen gegen den Wind duftende Haifisch-Delikatesse keinesfalls nur ein Touri-Essen, mit dem die Isländer sich über selbige lustig machen. Sie essen das Zeug offenbar tatsächlich ganz gern. Auch wenn der Kassierer zugeben muss, dass er doch einige Anläufe brauchte, bis der wahre Genuss auf seiner Zunge ankam.

Feines Zeugs © Sandra Grüning
Feines Zeugs © Sandra Grüning

Jutta und ich können es nicht lassen, wir müssen noch einmal ins Skaftfell, einen Abschiedskaffee trinken. Im beliebtesten, weil einzig geöffneten Lokal des Dorfes, sitzt die gesamte Ankerherz-Crew und frönt dem gleichen Gedanken. Auf ihre Empfehlung hin kommen wir schließlich sogar noch in den Genuss eines superfeinen Islandfisches und eines sauleckeren Apfelstrudels mit selbst gemachtem Eis. Wir wollen hier gar nicht wieder weg. Dass mir der Abschied so schwer fallen würde, hätte ich nicht gedacht.

Erinnerungslichter © Sandra Grüning
Erinnerungslichter © Sandra Grüning

Vom inneren Schunkeln nach zwei Tagen an Land noch nicht ganz befreit, geht es schon wieder los. Kaum aus dem Fjord heraus und auf offener See schunkelt die Norröna uns ordentlich von links nach rechts und von oben nach unten. Nordatlantik halt. Für Shantys ideal. Wenn man jedoch gerade nicht singt… Fünf Meter hohe Wellen sind vorausgesagt. Das wird einmal mehr ein Spaß für Hirn und Magen. Zum Glück haben wir Singnotrettungsübungen en masse.

Góða nótt, dreymir falleg. Sjáumst á morgun.

◊ ◊ ◊

[Der Text enthält Werbung aufgrund von Namensnennung! Alle Anregungen und Vorschläge, Empfehlungen und Bewertungen sind jedoch meine eigene Meinung und mein ganz persönlicher Geschmack, der gerne geteilt, aber auch anders empfunden werden kann.]

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