„Tausend Stunden gewartet. Hat alles nichts gebracht. Zwanzig Briefe geschrieben, bis einer gut genug war für dich. Hallo, wie geht’s dir? Denkst du manchmal an mich? Manchmal…“
Narben zieren meine Seele. Wie ein Geflecht aus Adern legen sie sich in jedes Gefühl. Aber ich habe ausgehalten, habe gekämpft und überlebt. Hab deinen Namen schließlich in ein Kästchen gelegt und es mit einem dicken Schloss versehen in der hintersten Ecke meines Herzens versteckt. Hab die Erinnerungen eingefroren. Im Ewigen Eis deponiert. Alle Uhren auf Anfang. Und das Leben schlägt plötzlich einfach in mir weiter. Hab Neues und Wundervolles gierig in mich aufgesogen. Meine Stunden und Minuten reich und schön gemacht. Ich gehe jedem Tag mit einem Lachen entgegen. Denn ich habe die Lust zu leben und zu genießen, tief in mir wiedergefunden. Und mit ihr das Glück.
Und dennoch tauchen in stillen Momenten Fragen ungebeten aus meinen Gedanken heraus, auf die ich keine Antworten weiß. Fragen, die sich immer wieder zwischen die Splitter des Tages schleichen, die mich stets wie ein Schatten auf meinem Weg begleiten.
Unausgesprochen halte ich die Worte geknebelt in meinem Kopf. Ungesagt. Aus Angst, sie könnten fehlgehen.
Dabei würde ich gern wissen, ob du manchmal noch an mich denkst. Vielleicht morgens, wenn die Sonne noch schlaftrunken hinter dem Horizont das Meer leise küsst oder zwischen zwei Augenblicken nur ganz kurz und verschwommen – aber immerhin da. Doch ich habe Angst, ich könnte dir inzwischen egal geworden sein.
Ich würde gern wissen, welche Farbe deine Morgen jetzt haben, was deinen Drachen in den Himmel steigen lässt, dich zum Schweben, zum Lachen bringt, dich aufwühlt oder des Nachts durch deine Träume spukt. Aber ich habe Angst, du legtest keinen Wert mehr darauf.
Ich würde dir so gern begegnen, in deine Augen sehen und dich erkennen. Und verstehen, warum du oft so unnahbar und hart bist. Aber ich habe Angst, du schautest lieber an mir vorbei.
Ich würde manchmal gern bei dir klingeln und dich einfach in den Tag entführen. Aber ich habe Angst, du bliebest stumm hinter deiner Tür.
Ich würde gern Zeit mit Dir verbringen, neue Bilder auf die alten legen und Schwergewordenes in Leichtigkeit verwandeln. Aber ich habe Angst, du sagtest ein weiteres Mal Nein.
Und ich würde gern noch einmal mit dir tanzen, mich im Rhythmus der Musik mit dir verlieren und eine neue, ungespielte Melodie für uns finden. Aber ich habe Angst, ich träte dir zu nahe einzig durch mein Sein.
Also tue ich nichts. Lasse dich links liegen. Schaue weg, wenn du mich ansiehst. Bin taff und kalt und die, die am lautesten lacht. Zeige dir das Ich, das du verabscheust und zu dem du keinen Zugang hast. Weil ich nicht den Mut habe, auf dich zuzugehen. Mir die Stärke fehlt, dir in die Augen zu schauen.
Ich will dir zeigen, dass es mir gut geht – ohne dich. Du sollst sehen wie schön mein Leben ist. Sollst nicht erkennen, wie durcheinander und unsicher ich häufig bin. Und vor allem nicht, wie viel du mir bedeutest.
Denn auch, wenn die Liebe schon lange keine Zukunft mehr für uns malt, wir nicht einmal Freunde sind, bist du noch immer einer der wenigen Menschen, die mich wirklich bewegen. Deren Sicht auf die Dinge mich berührt und meinen Horizont weit macht und anders und neu.
Aber das würde ich dir natürlich nie verraten. Also bleiben die Fragen und der Wunsch nach einem anderen Weg für uns ungesagt. Nur laut gedacht. Und der Wind nimmt sie mit auf seine Reise.
„Wo fängt dein Himmel an, und wo hört er auf? Wenn er weit genug reicht, macht dann das Meer zwischen uns nichts mehr aus?…“
Philipp Poisel – Wo fängt dein Himmel an (unplugged)
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