Regenbogen-Glitter © Sandra Grüning
Nachdem mir heute in der Früh auf der Straße schon zwei Pferde, eine Reh, ein Fuchs und eine Sternschnuppe begegnet sind, wird es mal wieder Zeit für ein bisschen passende Musik: ABBA. Stockholm wartet schon auf mich.
Wie immer hängt mir der Magen in den Kniekehlen, als wir uns mit aufheulenden Turbinen in diesem ungelenken Schwan in die Lüfte erheben. Sei‘s drum! Der Ausblick auf meine Insel nebst aller drei Kaiserbäder-Brücken lässt mich das flaue Gefühl für kurze Zeit vergessen. Atemberaubend schön! Das Frühstück über den Wolken tut sein übriges, um meinem Magen etwas zu tun zu geben. Und plötzlich nur unendliches Blau unter mir. Da könnte ich mich dran gewöhnen. Doch schneller als ich denke, bin ich auch schon wieder auf dem Boden der Realität.
Jetzt heißt es Runterkommen und Entspannen. Bei 200 km/h. So schnell jagt der Arlanda Express Stockholm entgegen. Vorbei an Wäldern, roten Holzhäusern und regennassen Straßen. In 20 Minuten ist man von ganz weit draußen ganz weit nach drinnen gekommen.
Stockholm empfängt mich offenbar gern in feuchtfröhlicher Stimmung. Schon mein erstes Date mit ihr war sonnentropfenreich.
Damit soll’s laut Concierge meines Hotels zur Pride vorbei sein. Sein Wort in Gottes… Aber bis dahin habe ich noch Zeit und einen Regenschirm ergattert. Auf zur geliebten Saluhall. Der Weg dorthin ist gepflastert mit Regenbögen. Eine ganze Stadt feiert Pride. Und jeder macht mit. Vom Hotel über das Parlament bis zur Dönerbude. Ich kann’s kaum fassen. Und alle strahlen, freuen sich, schenken mir ein Hej. Heute scheint ganz Stockholm queer. Auf großen Werbebildschirmen küssen sich in der ganzen Stadt alle Arten von Paaren. Eine schöne Realität.

Doch bevor die Sonne rauskommt und die Mega-Party beginnt, ist der beste Regenzeitvertreib die Welt der Meerestiere, Wagyū-Rinder und schwedischen Wildtiere. Natürlich auf kulinarische Art.



Und da komme ich in der Saluhall an den Rentier-Köttbullar einfach auch beim zweiten Mal nicht dran vorbei. Danach bin ich kugelrund. Jetzt könnte ich auf der Pride eine kullernde Attraktion mimen. Denn so viel gegessen, habe ich – dank eines ganzen Bauchs voller Schmetterlinge – seit Tagen nicht. Aber es schmeckt ausgesprochen utsökt. So sagen die Schweden zu lecker. Dank deren Offenherzigkeit wächst auch mein spärlicher Wortschatz in ungekannte Höhen.

Jetzt wird es Zeit, mir ein schönes Plätzchen zu suchen. Genau vor meinem Hotel soll die Pride sich in die Kurve legen. Perfekt! Die Sonne lacht. Die Leute sind entspannt und fröhlich. Ich kann kaum glauben, dass ich noch vor ein paar Stunden auf der anderen Seite der Ostsee war.

Und dann bricht sie an, die Feierstunde. Ich bin völlig geflasht von dieser Party.

45.000 Teilnehmer, die auf und neben und hinter den fast 200 Wagen ihren Spaß haben, tanzen, feiern, animieren und sich präsentieren. Mit High Heels, in Chucks, im Kostüm, in Latex, mit Bart, Perücke oder fast nackt. Es geht nur um eines: Die Liebe zu feiern, und zwar in all ihren Spielarten, die es gibt. Ich habe allerdings nicht gewusst, dass es so viele queere Lebensmöglichkeiten gibt.




Mit all den bunten Vögeln feiert eine halbe Million Menschen Fähnchen schwingend, jubelnd und tanzend. Ich muss zugeben, ich habe noch nie so viele Gay-People auf einmal gesehen. Natürlich weiß ich, dass nicht alle davon gay sind. Doch für mich von der Insel ist das ein völliger Overload! Ich sehe nur noch Regenbögen.

Und hier in Schweden machen alle mit bei der Pride. Von der Polizei, über den Flughafen, das Militär, die Pfadfinder, die Uni, die Kirche, die Müllabfuhr… Und dazu kommen unglaublich viele Länder. Da geht es plötzlich, dass Israelis und Moslems zusammen tanzen. Und die Buddhisten mischen auch noch mit auf den Plattentellern.

Es ist, als wandle ich durch einen wahr gewordenen Traum. Für den heutigen Tag existiert sie wirklich: Eine Welt, in der Liebe ganz einfach nur Liebe ist. Und alle sie friedlich miteinander feiern. Schade, dass das immer nur Eintagsfliegen sind.

Outtake:
Es ist das bislang Skurrilste, was ich auf Partys gesehen habe. Ein offenes Zelt, in dem jeder Kopfhörer aufhat und tanzt. Das ganze heißt Regnbåge – Regenbogen. Denn je nach Farbe des Kopfhörers tanzen die Menschen nach einer anderen Musik. Und sie singen. Alle durcheinander. Und weil sie sich selbst und die anderen nicht hören können, singen sie so laut ein jeder kann. Von außen betrachtet, ein amüsantes Schauspiel. Die Schweden sind schon ein lustiges Völkchen.
God natt sov gott och dröm sött.

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