Bücherlust


Ein Regal voller Bücher © Sandra Grüning

Bücherlust © Sandra Grüning

Laut einer Studie bin ich von Gestern.

Denn mit meinem Faible passe ich nicht ins Heute.

Das Heute… das ist Minimalismus designt bis ins letzte häusliche Eckchen. Weniger ist mehr. Räum dich frei! Ist das Motto. Der moderne Chick zeigt Aufgeräumtheit in den stylisch dekorativen Wohnelementen. Doch das beliebteste unter ihnen, das bereits seit 1979 der Kassenschlager der schwedischen Dekoqueen mit den vier Buchstaben ist, hat wohl bald ausgedient. Denn ein Hort, an dem bisweilen papierene Schätze überquollen, hat in solch übersichtlicher Raumstruktur nichts mehr verloren. Der Horror vakui ist dem transzendenten Nichts gewichen. Wer braucht da noch ein Regal für und vor allem voller Bücher? Nichts anderes als designte Leere hat der modernen Lifestyle-Philosophie nach durch Billys Regalböden zu wehen.

Und was wird aus den Büchern?

Die sind dank digitaler Lebenswirklichkeit längst überflüssig geworden. Unzeitgemäße Dinosaurier sind sie als bloße Staubfänger schlichtweg zum Aussterben verdammt. Wer hat schon die Muße 300 oder gar 500 und mehr Seiten durchzuackern? Und erst die Zeit, die diese Muße kostet?! Zeit ist Geld! Und beides ist offensichtlich so knapp, dass niemand mehr die Zeit hat, sich für so etwas Zeitraubendes wie das Lesen extra Zeit zu nehmen. Reine Zeitverschwendung! Dazu muss auch noch die eigene Fantasie bemüht werden. Die bekommt der moderne Mensch doch mittlerweile eh viel schillernder und bunter von Netflix und Co fix und fertig serviert. Sich all das in Eigenarbeit ausmalen zu müssen… Nicht auszudenken! Man muss schließlich schon genug.

Bücher sind also out. Etwas für Freaks. Etwas für Gestrige. So wie mich. Denn…

Ich liebe Bücher!

Ich ernte jedes Mal kopfschüttelndes Unverständnis, wenn ich von meinen Regalen voll von Wunderwelten erzähle. Erzähle, wie sie einen ganzen Raum mit Seele erfüllen, ohne den Raum vollzumüllen. Zwischen 500 und 600 Seelen wohnen bei mir. Und es werden monatlich mehr. Ein Zuhause ohne Bücher ist für mich ein kalter, unwirtlicher Ort, an dem ich nicht leben möchte. Mir kommt dann ganz unweigerlich eine alte Fastfood-Werbung in den Sinn, in der ein Immobilienmakler seinen potentiellen Kunden in der cleanen Atmosphäre eines weiß gekachelten Wohnzimmers rät: Wenn Sie was Warmes wollen, dann gehen Sie doch zu McDonald‘s. [unbeauftragte Werbung wegen Namensnennung]

Für mich bedeuten Bücher eine kleine Auszeit von der Hektik und dem Wirbel der in Siebenmeilenstiefeln davon eilenden Welt. Mit einem Buch bin ich Herrscher über sie, halte sie einfach mal für eine Zeit lang an, die Welt. Und mit ihr die Zeit. Lasse sie in meinem Tempo spazieren gehen. Manchmal vor und manchmal zurück. Bücher sind für mich Schätze. Sie bergen ganze Welten voller Lachen und Tränen, voller Herzklopfen und Herzschmerz. Sind Erinnerungen an die eigenen Lebensstationen. Geben Identität. Mit ihnen erlangt man einen Reichtum, der mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen ist.

Ganz zu schweigen vom sinnlichen Vergnügen. Oder besser: Nicht zu schweigen. Vom tastenden Begreifen des Seitenumblätterns, während der Geist durch ungekannte Welten wandert. Vom Rascheln. Vom Geruch.

Ich bin keine Ärztin. Aber ich glaube, ich habe Bücherlust. Das klingt schlimmer, als es ist. Ansteckend scheint es nicht zu sein. Bis jetzt zumindest nicht. Leider. Aber zum Glück bin ich mit meiner Bücherlust nicht allein. Ein paar Wenige gibt es noch, denen es genauso geht wie mir. Eine von ihnen ist Karolin Asmus. Sie hat ihre Bücherlust sogar zum Beruf gemacht. Ihr gehört nämlich die kleine Strandbuchhandlung in der Seestraße in Ahlbeck. Und die quillt im wahrsten Sinn über von ihrer Lust auf Bücher.

Herrlich, findet Karolin Asmus das. Sie liebt es, von Büchern umgeben zu sein, braucht sie wie die Luft zum Atmen. Ohne ihre Schätze, würde sie nicht leben wollen. Dabei sieht ihr Arbeitsplatz ihrem Zuhause nicht unähnlich. Überall türmten sich auch dort die Bücher. Nur Bücher, kein Nippes oder Kitsch, betont sie. Dennoch sehr zum Leidwesen ihres Mannes, der Büchern – dem Zeitgeist entsprechend – recht wenig bis gar nichts abgewinnen kann.

Karolin Asmus, Bücherliebhaberin, vor einem Regal voller Bücher in ihrer Strandbuchhandlung © Sandra Grüning

Karolin Asmus ist leidenschaftliche Bücherliebhaberin © Sandra Grüning

„Meine Mutti erinnert sich noch, dass ich schon mit 13 fest davon überzeugt war, einmal einen Buchladen zu betreiben.“ Dabei hatte sie zu der Zeit noch nicht einmal viel gelesen. Die echte Bücherlust erwischte sie erst später. Mit Anfang 20. Jetzt liest sie in mancher Woche bis zu sechs oder sieben Bücher. Das versetzt selbst mich Leseratte in Erstaunen. Sie habe ein fotografisches Gedächtnis, erklärt mir Karolin Asmus. Ich bin beruhigt. Sonst wäre das glatt Hexerei. Aber nicht gerade ein Nachteil, wenn man Buchhändlerin ist und so bei Fragen authentisch und aus dem eigenen Erlesen heraus beraten kann.

Für Karolin Asmus ist jedes Buch der Eintritt in eine andere Welt – mit neuen Erfahrungen, neuen Charakteren, die man so in der Realität nicht unbedingt kennenlernen würde oder vielleicht auch gar nicht kennenlernen wollte. Außerdem öffnete sich durch Bücher ein Spalt in das eigene Leben, in die eigene Vergangenheit. Bilder, Gerüche, Gefühle – alles ist wieder da: „Ich weiß noch genau, was ich bei diesem oder jenem Buch gedacht oder gerade durchlebt habe.“

Mir kommt es vor, als redete ich mit einem Spiegel. Nicht nur, weil Karolin Asmus Hesse liebt. Genauso wie ich. Bücherlustige haben offenbar einige Gemeinsamkeiten. Wie in vielen meiner Bücher sind auch die Lesewerke von Karolin Asmus mit Spickereien aus bleierner Mine verziert und mit Eselsohren dekoriert; festzuhalten, was einmal in einer bestimmten Lebenssituation wichtig erschien. Umso schöner ist es, diese Notizen aus der Vergangenheit irgendwann einmal wieder zu entdecken.

Karolin Asmus ist sich sicher, dass das Buch nicht tot zu kriegen ist. Trotz immer hochentwickelterer eBook-Reader. „Da geht viel vom Lesevergnügen verloren. Viele wollen doch noch ein richtiges Buch in den Händen halten, die Seiten umblättern. Lesen ist ein sinnenfreudiges Erlebnis.“

Ich hoffe, Karolin Asmus behält recht. Denn für mich bedeuten Bücher Lebenslust und Lebensgenuss. Und ich möchte ungern darauf verzichten.

Ein zufälliger Farbton am Morgenhimmel, ein bestimmtes Parfum, das du einmal geliebt hast und das subtile Erinnerungen weckt, eine Zeile aus einem vergessenen Gedicht, auf das du wieder gestoßen bist – von solchen Dingen hängt unser Leben ab. [Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray]

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[Der Text enthält Werbung aufgrund von Namensnennung! Alle Anregungen und Vorschläge, Empfehlungen und Bewertungen sind jedoch meine eigene Meinung und mein ganz persönlicher Geschmack, der gerne geteilt, aber auch anders empfunden werden kann.]

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